Die CampusLinie U35 verbindet unterirdisch die Städte Bochum und Herne seit 1989. In Bochum führt sie von der Stadtgrenze Herne im Norden über die Innenstadt zur Ruhr-Universität und endet im Süden am Bahnhof Hustadt. Außerhalb der Pandemie ist sie mit über 90.000 Fahrgästen täglich das erfolgreichste Nahverkehrsmittel in Bochum. Bei einem sehr engen Takt verkehrt sie schnell, zuverlässig und sicher.
Damit dies auch langfristig so bleibt, ist nun ein neues Forschungsprojekt rund um die U35 gestartet: Im Auftrag der Stadt Bochum und in enger Zusammenarbeit mit der BOGESTRA untersucht die Technische Hochschule Georg Agricola (THGA) die Bergbau-Einflüsse auf die CampusLinie U35. „Auslöser für uns war die Aussage der Ruhrkohle AG, das Grubenwasser ansteigen zu lassen, was wegen der Ewigkeitskosten verständlich ist“, erläutert Karl-Heinz-Reikat, der die Abteilung Stadtbahnbau und konstruktiver Ingenieurbau im städtischen Tiefbauamt leitet. „Diese Entscheidung der Ruhrkohle AG hat jedoch Auswirkungen auf unseren Baugrund – also unsere U-Bahn-Bauwerke. Diese wollen wir wissenschaftlich untersucht und begleitet haben.“
„Jede Stadt sollte ihren Untergrund genau kennen“, sagt Geologe Prof. Dr. Tobias Rudolph von der THGA. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen vom Forschungszentrum Nachbergbau untersucht er darum die Strukturen unter unseren Füßen. Dabei geht es den Expertinnen und Experten vor allem um die Einflüsse, die der intensive Bergbau hinterlassen hat. Im Untergrund zwischen Bochum und Herne wollen sie den Nachweis erbringen, dass die U-Bahnlinie sicher und zuverlässig bleibt. Dabei helfen neueste, digitale Überwachungsmethoden und moderne Technik – aber auch akribische Archivarbeit. U-Bahnbau trifft auf Nachbergbau.
Der Projektname „NAMIB“ erinnert eher an die afrikanische Wüste als an einen U-Bahntunnel als Untersuchungsgebiet – das Kürzel steht allerdings für „Nach- und Altbergbau-Monitoring von Infrastruktur der Stadt Bochum“. Eine kleine Safari ist es trotzdem: Die Forscherinnen und Forscher werten erstmals historische und moderne Datensätze in Kombination aus. Dazu gehören auch regelmäßige Dokumentationen unter Tage, erklärt Prof. Rudolph: „Um die Prozesse ganzheitlich betrachten und damit die Integrität der U35 nachweisen zu können, müssen wir natürlich da runter. Wenn wir dabei potentielle Risikoelemente aufspüren, überführen wir diese in ein Klassifikationssystem.“ Mögliche Gefahren gehen z.B. von geologischen Schichtgrenzen oder alten Bergbaustrukturen aus. „Dass es durch diese Einflüsse aber zu wirklichen Schadensfällen kommt, ist höchst unwahrscheinlich“, sagt der Experte. „Die U-Bahn ist also sicher – und dank unserer integrierten Messsysteme jetzt sogar noch ein Stückchen mehr.“
Zwischen 1980 und 1993 wurde die U35 in Bochum ausgebaut. „Hier war der aktive Steinkohlenbergbau in der Umgebung zwar schon abgeschlossen, dennoch führt die Linie durch ein geologisch komplexes Gebiet, das stark durch den Bergbau beeinflusst wurde. Wir konnten etwa Strukturen und tektonische Elemente aufspüren, die in neueren Karten gar nicht aufgeführt sind, darunter auch kleine Schächte oder Stollen“, erklärt Rebekka Biermann vom Tiefbauamt, die selbst „Geoingenieurwesen und Nachbergbau“ an der THGA studiert hat. Der deutschlandweit einzigartige Masterstudiengang bildet Ingenieurinnen und Ingenieure dafür aus, die komplexen Vorgänge rund um die Ewigkeitsaufgaben und der Nachsorge zu planen und durchzuführen. So hat sich Rebekka Biermann, betreut durch Prof. Dr. Peter Goerke-Mallet vom Forschungszentrum Nachbergbau, in ihrer Abschlussarbeit mit der Interpretation von Grubenbildern befasst.
Der Löwenanteil des NAMIB-Projekts besteht nun aus intensiver Archivarbeit und Datenrecherche. Auch Methoden aus dem Markscheidewesen, also der untertägigen Vermessung, kommen zum Einsatz, um die genaue Lage des Tunnels zu dokumentieren. Sogar Satellitenbilder werten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus, um mögliche Bodenbewegungen im Millimeterbereich zu detektieren. „So entsteht nach und nach eine smarte Karte für den gesamten Linienverlauf und ein 3D-Untergrundmodell, mit dem wir die nachbergbaulichen Verhältnisse ganzheitlich darstellen können“, sagt Prof. Rudolph.
Außerdem geht es darum, mögliche Einflüsse des geplanten Grubenwasseranstiegs im Ruhrgebiet zu identifizieren. Das Konzept der RAG AG sieht es vor, das untertägige Grubenwasser sehr langsam und allmählich ansteigen zu lassen. Ob es dadurch Auswirkungen an der Oberfläche und den U-Bahn-Tunneln gibt, kann so festgestellt und beobachtet werden. Um Prognosen für ein langfristiges Risikomanagement zu erarbeiten, berücksichtigen die Forscherinnen und Forscher der THGA dabei auch die Zeitkomponente.
Perspektivisch sollen die Methoden bei weiteren städtischen Infrastrukturen wie Gebäuden oder Straßen und Kanälen zum Einsatz kommen – und möglicherweise in anderen Kommunen, sagt Prof. Rudolph: „Schließlich bietet das Ruhrgebiet durch seinen teils jahrhundertelangen und weit verbreiteten Steinkohlenbergbau für uns noch jede Menge Untersuchungspotenziale.“
Redaktion: Carmen Tomlik