Baustellen, Sperrungen, verengte Fahrbahnen: Schon seit Ende März 2020 werden Autofahrer, die das Autobahnkreuz Dortmund/Witten passieren, auf die Geduldsprobe gestellt. Doch die Sanierungsarbeiten an der A44 sind dringend erforderlich, sagt Ingenieur Cedric Kamgaing Kamdom: "Zuletzt haben wir einen Hohlraum aufgespürt und verfüllt, der rund zehn Meter hoch und drei Meter breit war – etwa so groß wie ein Einfamilienhaus. Und das ziemlich knapp unter der Fahrbahndecke", erklärt der 30-Jährige, der beim zuständigen Ingenieurbüro arccon als Projektleiter arbeitet. Inzwischen haben die Experten hier rund 800 Tonnen Betongemisch in den löchrigen Untergrund geleitet, um ihn zu sichern. Das entspricht rund 30 vollen Sattelzügen.
Die oberflächennahen Hohlräume stammen noch aus alten Zeiten: Einst gruben sich hier die Bergleute der Zeche Vereinigte Wiendahlsbank durch den Erdboden. Das Bergwerk machte schon 1924 dicht. Entsprechend dünn ist die Datenlage. "Die Pläne zur Lagerstätte sind über 100 Jahre alt. Das macht es uns nicht gerade leicht." Daneben gibt es außerdem den so genannten "wilden Abbau", der nirgendwo verzeichnet ist. Da kann man nicht einfach drauflosbohren, erklärt Kamgaing Kamdom: "Unsere wichtigste Aufgabe ist es, die vermuteten Hohlräume möglichst optimiert zu detektieren, um Zeit und Kosten zu sparen."
Auch das Betongemisch will sorgfältig gewählt sein, je nach Beschaffenheit der Hohlräume und Lockerzonen. Am Anfang eines solchen Projektes steht eine Grundlagenermittlung, bei der auch alte bergmännischen Risswerke ausgewertet werden. Diese können Hinweise auf Tagesöffnungen, alte Stollen oder Abbaubereiche geben. Im Anschluss an diese Grundlagenrecherche werden ggfs. Erkundungs-, Sicherungs- und Verwahrungsarbeiten in Form von Bohr- und Verfüllarbeiten bis in große Tiefen geplant, ausgeschrieben und ausgeführt. Spezialwissen, das sich der gebürtige Kameruner im Studium angeeignet hat.
Vor fünf Jahren kam Cedric Kamgaing Kamdom nach Deutschland und entschied sich für ein Studium an der THGA in Bochum. Im Master Geoingenieurwesen und Nachbergbau hat er sich eine neue Perspektive erarbeitet: "Den Arbeitsmarkt kannte ich vorher zwar nicht, wusste aber, dass im Jahr 2018 der Steinkohlenbergbau in Deutschland enden sollte und dass dann sicherlich Leute gesucht würden, die sich mit dem Thema Nachbergbau auskennen", sagt Kamgaing Kamdom, der in seiner Heimat bereits Geowissenschaften studiert hatte.
Er sollte Recht behalten: Experten an der Schnittstelle zwischen Bergbau, Vermessung und Geotechnik sind nicht nur bei uns, sondern international gefragt. Denn Rohstoffabbau hinterlässt weltweit Spuren. Besondere Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen sind nötig, um die Risiken an ehemaligen Bergwerksstandorten zu beherrschen. Der deutschlandweit einzigartige Masterstudiengang an der THGA bildet Ingenieurinnen und Ingenieure dafür aus, die komplexen Vorgänge der Bergwerksschließung und der Nachsorge verantwortungsvoll zu planen und durchzuführen. Dazu gehören auch intelligente Folgenutzungen in den betroffenen Regionen.
Für Cedric Kamgaing Kamdom war die Sprache anfangs noch eine kleine Hürde: "Besonders in den Vorlesungen musste ich sehr aufmerksam sein, aber der gute Kontakt mit anderen Studierenden und den Dozenten haben die Sache sehr erleichtert. Außerdem ist das Studium sehr praxisnah und man ist viel im Gelände unterwegs", erzählt der Absolvent, der in seiner Freizeit auch leidenschaftlich Fußball beim SV Titania Erkenschwick spielt. Man sieht: Ein gutes Training zahlt sich aus – bei der Sprache, im Job und im Sport.
Und wie geht es jetzt auf der A44 weiter? "Aktuell sind wir im Zeitplan. Aber ein Teilstück liegt noch vor uns." Hier können auf die Ingenieure noch weitere, ungeahnte Herausforderungen im Verborgenen schlummern, aber Kamgaing Kamdom ist zuversichtlich: "Wenn wir unsere Arbeiten abgeschlossen haben, voraussichtlich im Sommer 2021, sind wir dauerhaft auf der sicheren Seite." Im Bestfall bedeutet das für die Autofahrer: erstmal Ruhe auf der A44. Und für Cedric Kamgaing Kamdom: Auf zur nächsten Baustelle! Denn die Nachbergbau-Zeit wird deutlich länger als die Ära des Bergbaus selbst und beschert auch in Zukunft volle Auftragsbücher.
Redaktion: Carmen Tomlik